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Justizposse um Ausführung eines Gefangenen zur Literaturpreisverleihung

Am 5. Juni 2005 fand in Dortmund zum sechsten Mal die Verleihung des Ingeborg-Drewitz-Literaturpreises für Gefangene statt. Alle 2 - 3 Jahre erfolgt eine Ausschreibung, an der sich neben aktuell Inhaftierten auch ehemalige Gefangene beteiligen können. An dieser Stelle möchte ich darüber berichten, welchen Aufwand es bedurfte, damit einer der Preisträger, Herr Peter L., seitens der Justizvollzugsanstalt Bruchsal nach Dortmund ausgeführt werden konnte, um den ihm verliehenen Literaturpreis persönlich entgegen zu nehmen.

Schon Anfang Januar 2004 berichtete ich über den ganz eigenwilligen Umgang der JVA mit Herrn L. ( “ Mobbing im Strafvollzug? Ein bislang unbeachtetes Phänomen?“) und dessen Schwierigkeiten die Anstalt dazu zu bewegen, ihn zu seinen Eltern auszuführen. Unter “Ausführung“ versteht man dabei im Strafvollzug das zeitweise Verlassen der Anstalt unter Bewachung von Personal (bei einem “Ausgang“ würde eine solche Begleitung durch Beamte der JVA entfallen).

Herr L. wurde von der Jury als einer von 16 Preisträgern und Preisträgerinnen unter 1000 eingesandten Beiträgen ausgewählt. Als ihm am 3.1.2005 mitgeteilt wurde, dass für den 5. Juni 2005 die festliche Preisverleihung geplant sei, beantragte er am 17. Januar 2005 bei der Anstaltsleitung, dass man ihn dorthin ausführen möge; ggf. sei er bereit, hierfür eine der beiden ihm für 2005 zustehenden Ausführungen in Anspruch zu nehmen, sollte man ihm keine “Sonderausführung“ zugestehen wollen.

Der zuständige Abteilungsleiter, ein ehemaliger Sanitätssoldat, lehnte am 2. Mai 2005 diesen Wunsch ab. Es handele sich nicht um einen so wichtigen Anlass, bei dem die Anwesenheit des Insassen unabdingbar sei. Herr L. könne ja beantragen in die nächstgelegene Haftanstalt überstellt zu werden, um sich dort von einem Mitglied der Jury besuchen zu lassen, oder er solle sich dann von dort aus um eine Ausführung bemühen.

Hiergegen stellte Herr L. Antrag auf gerichtliche Entscheidung. In einem 15 Seiten umfassenden Beschluss (AZ: 151 STVK 196/05) entschied das Landgericht Karlsruhe am 23. Mai 2005, dass der Antrag des Herrn L. sehr wohl begründet sei und er auch nicht eine seiner zwei Regelausführungen einsetzen müsse. Vielmehr handele es ich bei der Preisverleihung um ein so außerordentliches, ja einzigartiges Ereignis, dass ihm diese Ausführung zusätzlich zu den beiden normalen Ausführungen zu gewähren sei.

Einer Preisverleihung komme erheblich resozialisierende Wirkung zu. Denn sie sei eine der wenigen Möglichkeiten, durch die dem Gefangenen das Gefühl vermittelt werde, trotz der auf sich geladenen Schuld ein Mitglied dieser Gesellschaft zu sein, durch die ihm signalisiert werde, dass nicht nur seine schlechten, Übel zufügenden, sondern auch seine guten, in diesem Fall künstlerischen Seiten wahrgenommen und anerkannt werden.

Das Justizministerium Baden Württemberg wollte diese Entscheidung nicht hinnehmen und legte umgehend per Telefax Rechtsmittel ein. Drei Tage später entschied das Oberlandesgericht Karlruhe /AZ: 1 Ws 113/05, Beschluss vom 31. Mai 2005), daß die Rechtsbeschwerde unzulässig sei. Und so konnte Herr L. am Sonntag, den 5. Juni, seine Fahrt nach Dortmund antreten.

Weshalb man ihn statt wie sonst von zwei Vollzugsbeamten in Zivilkleidung, diesmal von deren drei bewachen ließ und dies in grüner Dienstuniform und statt in einem neutralen Dienst-PKW, in einer “grünen Minna“ nach Dortmund fuhr, wird Gegenstand eines weiteren Gerichtsverfahren werden.

Es drängt sich der Schluss auf, daß hier auf dem Rücken eines Gefangenen seitens der Vollzugsanstalt, bzw. deren Personals eine Justizposse veranstaltet wurde: Herr L. erhält seit mehreren Jahren Ausführungen, von einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr konnte also nicht die Rede sein (dies stellte auch das Landgericht in seinem oben erwähnten Beschluss fest). Zynisch mutet der Hinweis an, Herr L. solle sich doch vorübergehend in eine JVA in Nordrhein-Westfalen verlegen lassen, um sich dann dort um eine Ausführung zu bemühen oder von einem Jury-Mitglied in der Anstalt besuchen lassen.

Und was das alles kostete?! Da auch das Land Baden-Württemberg am Rande des finanziellen Kollaps steht, wäre zu fragen ob das Verhalten der Anstaltsleitung Haushaltsuntreue darstellen könnte, da die Ressourcen der Behörden und Gerichte verschwendet wurden. “Beschäftigt“ waren u.a. ein Richter am Landgericht, dessen Schreibkräfte, drei Richter am Oberlandesgericht und deren Schreibkräfte, es fielen Fernsprech- und Telefaxgebühren an, Herr L.‘s Anwältin wurde tätig. Juristen im Justizministerium sowie diesen zugeordnetes Sekretariatspersonal waren naturgemäß ebenfalls involviert. Von der psychischen Belastung für Herrn L. will ich gar nicht erst reden.

Wieder ein bemerkenswertes Beispiel aus dem Alltag des “Resozialisierungsvollzuges“...




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last modified 23.11.2017 | webmaster