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Strafvollzug – eine widersinnige Institution

Die schärfste Sanktion, die das deutsche Strafrecht auch im 21. Jahrhundert kennt, ist die Freiheitsentziehung, d.h. der oder die DelinquentIn wird in ein Gefängnis gesperrt, euphemistisch "Justizvollzugsanstalt" (JVA) genannt, als ob in einer JVA die Gerechtigkeit (Justitia) vollzogen würde.

Im ausgehenden 18. und im beginnenden 19. Jahrhundert fand ein tiefgreifender Wandel im Sanktionssystem in Europa statt, die grausamen Körperstrafen wurden abgelöst durch den Entzug der Freiheit, sich - zumindest theoretisch - jederzeit dorthin begeben oder verweilen zu können, wo man es wollte: Die Zuchthausstrafe wurde geboren. Und sie hat sich bis heute gehalten, nur nennt sie sich heute Freiheitsstrafe!

Wer einen anderen bestiehlt, beraubt, wer Sachen beschädigt oder sonst in irgendeiner Form gegen das Strafrecht verstößt, kann mit einer "Freiheitsstrafe" belegt werden. Welch eine absonderliche Wortkombination: Freiheits-strafe; als ob hier Freiheit als Strafe, als Sanktion verhängt würde; vielmehr ist das Gegenteil der Fall, es wird Freiheit genommen!

Und noch unter einem anderen Gesichtspunkt mutet der Begriff recht eigenwillig an, denn wer ins Gefängnis gesteckt wird, erlebt recht rasch, welch vielfältigen weiteren Beschränkungen er unterliegt, als nur dem Entzug seiner Bewegungsfreiheit: Arbeitszwang, Zensur der privaten Korrespondenz, Beschränkung des Besitzes, Beschränkung der Besuche, uvm. (unter http://www.planet-tegel.de kann Einblick in den Alltag der JVA Berlin-Tegel genommen werden). Was dieser Gefängnisalltag mit "Freiheit" zu tun haben soll, weshalb also die Verurteilten "im Namen des Volkes" mit einer "Freiheitsstrafe" belegt wurden, erscheint nicht recht nachvollziehbar.

Beherrscht wird (zumindest in der Theorie) der Strafvollzug in Deutschland vom Gedanken der Resozialisierung, d.h. der Befähigung der Gefangenen nach Verbüßung der Haft ein Leben in sozialer Verantwortung ohne Straftaten zu führen. Gemessen an der Rate derer, die wieder Straftaten begehen (je nach Untersuchung wird von bis zu 80 % Rückfallquote berichtet, d.h. von 100 Entlassenen werden 80 wieder straffällig) gibt es nur eine Feststellung: Es gibt keinen erfolgreichen Resozialisierungsvollzug.

Letztlich kann es einen solchen auch gar nicht geben, denn wer meint, man könne Menschen, denen man ihre elementarsten Rechte beraubt, dadurch dazu bewegen, fürderhin die Rechte anderer zu achten, sie wertzuschätzen, zu respektieren, belügt sich selbst und letztlich auch die Gesellschaft. Sachkundige werden einwenden, dass doch innerhalb der Gefängnismauern ein Behandlungsprogramm durchgeführt werde, inclusive Therapien. Dies mag für spezielle, sogenannte sozialtherapeutische Gefängnisabteilungen gelten, nicht aber für das gros der Haftanstalten. Und selbst wenn es dann einmal zu behandlerischen Maßnahmen (z.B. Verlassen der Anstalt unter Bewachung, um nach zig Jahren des Vollzuges das Leben draußen in Augenschein nehmen zu können) kommt, stehen diese unter Finanzvorbehalt (zum 1.1.04 kürzte bspw. der Leiter der JVA Bruchsal sämtliche Ausführungen um 50 %, da seiner Ansicht nach nicht genügend Personal vorhanden sei) oder werden selbst angesichts belangloser Vorfälle sofort gestrichen oder eingeschränkt (einer Gefangenen der JVA Dresden wurden Ausgänge, die sie hätte ganz alleine, d.h. ohne Begleitung durchführen sollen deshalb verwehrt, weil sie anlässlich eines "Besuchsausgangs" - dabei wird der/die Inhaftierte von einer Bezugsperson während des Ausgangs begleitet - versucht hatte, einen Kaugummi in die JVA mit einzubringen.

Wo bleiben bei diesen Gedanken die Opfer, wird sich vielleicht manche(r) fragen, haben diese kein Recht auf Vergeltung, Rache, Genugtuung? Hier gilt es nun zu differenzieren zwischen verschiedenen Opfergruppen: So wird eine Versichertengemeinschaft, die Opfer eines Versicherungsbetruges (angeblich "Volkssport Nr. 1" in Deutschland) wurde, ein anderes Verhältnis zu der Tat haben, als zum Beispiel eine Frau, die sexuell missbraucht wurde.
Abgesehen von dem Fall eines wirklich "hochgefährlichen" Individuums, das Menschen aus Lust quält, tötet, und ähnlichen Fallgestaltungen, bei denen dem Gefängnis eine Sicherungsfunktion zukommt, d.h. der Gefangene wird schlicht daran gehindert, weiter aktiv zu sein, trägt der Strafvollzug so gut wie nichts dazu bei, einen Ausgleich zwischen Opfer und Täter zu schaffen. Das Opfer ist im Strafprozess ein sogenanntes "Beweismittel" - unter vielen anderen. Und nach dem Prozess gerät es rasch in Vergessenheit, während zumindest für die Gefangenen beträchtliche Geldbeträge aufgewendet werden. Opfer wie TäterIn sind im Bereich der Justiz Objekt - nicht Subjekt.

Verschiedentlich erhielt ich auf Beiträge, die sich mit dem Strafvollzug beschäftigten, die Rückfrage, ich würde die Opfer ausblenden, diese hätten doch teilweise ihr Leben lang darunter zu leiden, z.B. vergewaltigt, psychisch oder physisch schwer geschädigt worden zu sein. An dieser Stelle betone ich auch, aber nicht nur deshalb, dass ich zum einen gerade keine Verteidigungsreden für Sexualtäter halte, derartiges liegt mir völlig fern, zum anderen berichte ich - situationsbedingt - aus der Sicht des Gefangenen. 1996 hatte ich zwecks Beschaffung finanzieller Mittel für politische Aktivitäten eine Bank überfallen und sehe ohne weiteres, dass die Bankangestellten seelisch-psychisch traumatisiert wurden durch die Bedrohungssituation. Dass diesen Menschen, und auch anderen Opfern, geholfen werden muss, nicht nur von staatlicher Seite, sondern auch z.B. von Opferhilfe-Einrichtungen (zu nennen wäre "Der Weiße Ring"), ist völlig unbestritten. Wenn also Mißstände im Strafvollzug bemängelt werden oder dieser in seiner Gesamtheit in Frage gestellt wird, dann hat das nichts damit zu tun, dass sich beispielsweise der Autor dieses Beitrages in Selbstmitleid gefallen würde - denn niemand hat ihn gezwungen, das zu tun, was ihn in die Haftanstalt brachte -, sondern es wird schlicht und ergreifend festgestellt, dass die Institution Gefängnis niemanden, oder so gut wie niemanden bessert. Wer - aus Opferperspektive - den Strafvollzug primär als Instrument der Rache, Vergeltung und Sicherungseinrichtung sieht, kommt denknotwendig zu dem Schluss, dass Gefängnisse eine richtige Einrichtung sind; aber dies ist ein anderer Denkansatz.

Ein Gefangener schrieb vor zwei Jahren in einer Broschüre der französischen Gefangenenseelsorge: "Anstatt eine notwendige Station auf dem Weg der Rehabilitation zu sein, zerstört das Gefängnis nur. Die Demütigungen erzeugen Hass". Dem ist nichts hinzuzufügen.




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last modified 23.11.2017 | webmaster