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Über einen haftentlassenen "Ausländer" - das Schicksal von Mohamed Abu Dhess

Wer aus der Haft entlassen wird, sieht sich vielfältigen „Herausforderungen“ gegenüber, wie es heutzutage in der Sprache der Motivationstrainer heißt. In Wahrheit handelt es sich um Steine, um ganze Quader, die den Betroffenen in den Weg gelegt werden; ganz besonders schwer trifft es Menschen, die ausreisepflichtig sind, aber aus welchen Gründen auch immer nicht abgeschoben werden dürfen.

Von solch einem Menschen, von Mohamed Abu Dhess, soll heute berichtet werden.

Wer ist Mohamed, weshalb saß er in Haft?

Geboren 1964, trat er 1992 der PLO bei und wurde in einem Militärlager der Fatah der Intifada ausgebildet. 1995 beantragte er in Deutschland Asyl und bekam 1996 von der Stadt Lüdenscheid eine Aufenthaltserlaubnis, in Verbindung mit einem Internationalen Reiseausweis für Flüchtlinge nach Genfer Konvention.

Verhaftet wurde Mohamed einige Monate nach dem 11. September 2001, denn BND und Bundesamt für Verfassungsschutz hatten ihn und sein Umfeld umfangreich ausgeforscht; zudem fand sich ein Spitzel bereit, als Kronzeuge vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf auszusagen. Unter Vorsitz des hinlänglich bekannten (manche sagen auch: berüchtigten) Richters Breidling, wurde Mohamed am 26.10.2005 zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Er und Freunde von ihm hätten laut dem Kronzeugen geplant, in Deutschland Anschläge auf israelische Einrichtungen zu begehen. Nach Ansicht des OLG Düsseldorf handele es sich bei Mohamed um eine politisch und religiös fanatisierte Person.

Wie verlief die Haftzeit?

Viele Jahre verbrachte Herr Abu Dhess in strenger Isolationshaft, u.a. in Stuttgart-Stammheim. Erst in den letzten Jahren seiner Haft durfte er zu Mitgefangenen (dann in Köln-Ossendorf einsitzend) Kontakt haben. Wiewohl die Anstalt ihm ein tadelloses Verhalten bescheinigte, wertete dies der vom OLG mit einem Prognosegutachten beauftragte Professor Dr. Leygraf nicht etwa günstig, sondern sah auch nach langjähriger Haft keinerlei „Änderung seiner ideologischen Kampfbereitschaft“. Da Mohamed zudem die Angaben des Kronzeugen nach wie vor bestritt, so der Zirkelschluss des Gutachters, erlaube dieser Umstand auch keine Aussage zu einer eventuellen Veränderung der inneren Einstellung.

Und so verbüßte Mohamed die Haftstrafe bis zum letzten Tag, bevor er dann im Mai 2010 auf freien Fuß kam.

Wo lebt Mohamed jetzt?

Schon einige Wochen vor der Freilassung verfügte das Kölner Amt für öffentliche Ordnung in Gestalt von Frau Pauly, im Rahmen einer umfangreichen „Ordnungsverfügung“ (zu den Details vgl. http://de.indymedia.org/2010/05/281083.shtml), dass Mohamed in einem bestimmten „Hotel“ im Kölner Stadtteil Nippes zu wohnen habe und weder Internet, noch Telefonzellen oder Handys (mit Ausnahme eines einzigen Mobiltelefons, sofern er vor Inbetriebnahme das Amt über Telefon-/Karten- und Gerätenummer informiere) nutzen dürfe. Den Stadtteil dürfe er zudem nur mit vorheriger Erlaubnis des Amtes für Öffentliche Ordnung verlassen.
Die Wohnbedingungen in dem „Hotel“ rügte der Anwalt von Herrn Dhess schon kurz nach Einzug in das Zimmer. Rechtsanwalt Dieckmann (http://www.becher-dieckmann-rechtsanwaelte.de) schrieb in einer Klage an das Verwaltungsgericht, das Zimmer verfüge weder über Koch- noch über Kühlgelegenheit, es herrschten unangemessen hohe Innentemperaturen, außerdem könne der Kläger keine arabisch-sprachigen TV-Sender empfangen.

Wovon lebt Mohamed?

Auf Grund einer Verordnung der Europäischen Union (EG-Verordnung Nr. 1102/2009 der Kommission vom 16.11.2009) steht Mohamed auf der „Sanktionsliste“ der EU, sprich, soweit er über Eigentum verfügt, ist dieses eingefroren; wer ihm Gelder oder sonst wie materielle Zuwendungen übermittelt, ohne zuvor die Erlaubnis der EU bzw. der von ihr beauftragten deutschen Behörde einzuholen, macht sich eines Verbrechens strafbar.
Dies führte schon während der Strafhaft zu der skurrilen Situation, dass selbst für ein paar Briefmarken, die man ihm schicken wollte, die Zustimmung der Deutschen Bundesbank eingeholt werden musste; in einem anderen Fall, als es nämlich um die regelmäßige Zuwendung von Briefmarken (!) ging, musste die mit Mohamed in Briefkontakt stehende Person sogar beim Sanktionsausschuß der UNO eine Erlaubnis einholen.

Und so ist Mohamed nun auf öffentliche Leistungen nach dem Asylbewerber-Leistungsgesetz angewiesen; nicht erst seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit der HARTZ-4-Bezüge wird immer wieder gerade von Hilfsorganisationen dargelegt, dass erst recht die Leistungen nach AsylbLG menschenunwürdig seien.
Das „Amt für Soziales und Senioren“ der Stadt Köln gewährt Mohamed nun monatlich 165 Euro als Warengutschein, sowie 41 Euro als Bargeldleistung. Laut Schreiben vom 22.03.2011 des Herrn Taschenmachers, von besagtem Amt für Soziales und Senioren, stehe Mohamed weder Bekleidungshilfe, noch eine gesonderte Geldleistung zu, denn „neben dem Anteil für Ernährung (130,39 Euro), Gesundheits-/Körperpflege (5,11 Euro) und Gebrauchsgüter (7,67 Euro)“, sei der verbleibende Betrag für Bekleidung vorgesehen.
Nur zynisch kann der Hinweis des Herrn Taschenmachers angesehen werden, dass aus seiner Sicht auch kein Ausnahmetatbestand wie „z.b. eine Schwangerschaft oder Geburt eines Kindes“ vorliege, welcher eine Leistung möglich machen würde. Akkurat führt der Sachbearbeiter dann die „nach allgemeiner Auffassung nicht unbedingt notwendige“ Einkaufspraxis von Mohamed als weiteren Ablehnungsgrund an, denn dieser habe am 19.02.2011 bei ALDI „unter anderem mehrere Kilogramm Strauchtomaten“ gekauft, und sogar sich erdreistet, „Toffifee“ und „diverse andere Schokolade“ in den Warenkorb zu legen. Kosten für ein Rezept, so teilte Herr Taschenmacher am selben Tag in einem gesonderten Schreiben mit, werde man nur dann tragen, wenn dieses „vorher hier eingereicht“ werde und „eine Diagnose und Begründung“ enthalte, denn gemäß § 4 Abs. 1 AsylbLG sei nur die „Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände“ vorgesehen.

Alles immer schön „mit freundlichen Grüßen im Auftrag“ unterschrieben.

Bespitzelung durch die Sicherheitsbehörden?

Schon in den ersten Wochen nach seiner Freilassung wurde Mohamed mehrfach von der Polizei besucht, obwohl er nach einer Auflage des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 27. April 2010) sich sowieso täglich (!) ein mal bei der örtlichen Polizeidienststelle zu melden hat. Soweit anlässlich dieser „Hausbesuche“ andere Personen angetroffen wurden, unterzog die Polizei diese einer Personenüberprüfung.
Ganz offiziell (auch hier – man ahnt es - „mit freundlichen Grüßen im Auftrag“ unterzeichnet) teilte eine Kriminaloberkommissarin Brillowski vom Polizeipräsidium Köln am 15. März 2011 mit, dass man ein Jahr zuvor, nämlich im Zeitraum „vom 07.05.2010 bis 06.06.2010 (...) gegen Sie eine Datenerhebung“ durchgeführt habe, namentlich durch eine längerfristige Observation, wie auch durch den „Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen“. Hiergegen dürfe er, so er wolle, nun vor Gericht klagen.
Man darf davon ausgehen, dass neben der Polizeidirektion auch verdeckte Maßnahmen von den Behörden des Verfassungsschutzes erfolgen.

Weshalb wird Mohamed nicht abgeschoben?

Durch Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf wurde ein Abschiebehindernis für Jordanien festgestellt, da ihm dort Folter oder unmenschliche Behandlung droht; ein „sicherer Drittstaat“, der ihn aufnehmen würde, ist bislang nicht gefunden; außerdem gibt es Probleme mit dem Pass, denn dieser ist 1997 verloren gegangen. Nun soll er offenbar durch Zeitungsinserate in Jordanien (!) den Passverlust bekannt machen und sich zugleich einen neuen Nationalpass besorgen, eben jenes Landes, in welches er wegen der Gefahr, gefoltert zu werden, gar nicht abgeschoben werden kann.
Jedenfalls fordert Frau Metzinger vom „Amt für öffentliche Ordnung, Abt. Ausländerangelegenheiten“ nachdrücklich am 25.03.2011 (selbstverständlich auch sie „mit freundlichen Grüßen im Auftrag“ grüßend und handelnd), entsprechende Bemühungen von Herrn Dhess.

Was sagt Mohamed Abu Dhess zu alledem?

Er fühlt sich drangsaliert und unwürdig, wie er schreibt: „wie ein Penner“ behandelt. Ihm sei es während der Haft besser gegangen als jetzt. Gerne würde er Deutschland sofort verlassen, sieht sich aber daran gehindert, da kein Staat ihn aufnehmen möchte. Nachdrücklich hat er, auch vor dem Verwaltungsgericht (zuletzt in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem VG Köln am 16. März 2011) bekundet, dass er gegen „die Tötung eines jeden Menschen“ sei, Gewalt ablehne und man anerkennen und respektieren möge, dass er sich verändert habe und „bis zu meiner Ausreise aus Deutschland hier ein menschenwürdiges Leben“ führen möchte. Die Gerichte und Behörden bewerten dies jedoch nicht zu seinen Gunsten, sondern klammern sich an das, was ein Spitzel vor Jahren einmal vor Bundesanwaltschaft und Oberlandesgericht aussagte.

Resümee

Ein Mensch, der derart „behandelt“ wird, kann sich nicht in Freiheit eingliedern. Rund-um-die-Uhr-Bespitzelungen, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Verbot, das Internet zu nutzen, minimale Grundversorgung – und alles immer im kühlen Amtsdeutsch mit der Formel „mit freundlichen Grüßen“ versehen. Wer einen anderen Menschen „freundlich grüßt“, der geht nicht so mit ihm um. Es mag so sein, dass die Fülle der Restriktionen im Falle Mohamed Abu Dhess über das durchschnittliche Maß (deutlich) hinaus gehen, aber in ihrer Tendenz spiegeln sie die Realität vieler aus der Haft entlassener Menschen in Deutschland wieder.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
http://www.freedom-for-thomas.de
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last modified 21.11.2017 | webmaster