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Menschenunwürdige Unterbringung – am Beispiel der Haftanstalt Bruchsal

Menschenunwürdige Unterbringung –
am Beispiel der Haftanstalt Bruchsal


Im folgenden möchte ich die Thematik der menschenunwürdigen Unterbringung in deutschen Gefängnissen exemplarisch am Beispiel der Justizvollzugsanstalt (= JVA) Bruchsal problematisieren. Ferner soll der Frage nachgegangen werden, ob das Gefängnispersonal, einmal ganz legalistisch betrachtet, sich nicht gewissermaßen laufend des Verfassungsverstoßes schuldig macht.

A.) JVA Bruchsal
Gebaut wurde die Anstalt 1884 als erstes Zuchthaus auf dem europäischen Kontinent in panoptischer Bauweise, d.h. von einer “ Zentrale “ gehen vier jeweils als “ Flügel “ bezeichnete Trakte aus.
Die Zellen sind ca. 8 qm klein, sie sind ausgestattet mit Schränken, Tisch, Stühlen, Betten und, darauf kommt es im folgenden noch besonders an, mit offen im Zelleneck stehenden Kloschüsseln, lediglich durch einen Vorhang schamhaft verborgen.
2004 wurde einer der vier Trakte frisch bezogen, da er im Verlaufe mehrjähriger Renovierungsarbeiten vorübergehend leer stand. Dort wurden die Waschbecken und WC – Schüsseln baulich repariert, so dass eine kleine “ Nasszelle “ entstand, in die man sich zur Verrichtung der Notdurft zurückziehen kann.

Auf Grund der immer häufiger verhängten Freiheitsstrafen gilt auch die JVA Bruchsal als überbelegt; Zellen, die eigentlich dazu gedacht sind, von einem Gefangenen bewohnt zu werden, belegt man häufig mit zwei Insassen.

B.) Problemstellung

Was heißt es, wenn eine Zelle in der das WC offen ist im Eck steht von zwei Gefangenen belegt ist? Nun, die Bewohner sind den Gerüchen, Geräuschen des Zellenkollegen zwangsläufig ausgesetzt, wenn dieser das Klo benutzt. Auch das Öffnen des Zellenfensters bringt nicht wirklich Abhilfe.
Hinzu kommt, dass Lebensmittel nicht wirklich luftdicht im Haftraum aufbewahrt werden können; diese werden gewissermaßen “ geräuchert “ (die Zellenschränke verfügen über keine Rückwand, damit das Personal Versuche, ein Loch in die Wand zu graben, rascher entdecken kann).
Wenn es also schon schwer erträglich ist, die eigenen Lebensmittel dem eigenen Gestank auszusetzen, verstärkt sich der unappetitliche Effekt durch den WC – Gebrauch durch einen Mitbewohner noch um ein Vielfaches.
Erstaunlicherweise lassen sich die meisten Gefangenen, denen eine solche Doppelunterbringung in einer Einzelzelle zugemutet wird, dies mehr oder weniger stillschweigend gefallen.

C.) Juristische Hintergründe

Ich möchte niemanden mit einer langatmigen juristischen Exkurs langweilen, aber ein paar Fakten müssen erwähnt werden.


C1.) § 18 StrVollzG ( = Strafvollzugsgesetz)
Das seit 1977 geltende Gesetz billigt jedem und jeder Gefangenen zu, zumindest während der Ruhezeit, sprich abends und nachts, alleine untergebracht zu werden. So soll den Inhaftierten ein Minimum an Intim – und Privatsphäre gewährt werden. Eine gemeinsame Unterbringung ist nur vorgesehen, wenn ein Gefangener hilfsbedürftig ist oder aber eine Gefahr für Leben oder Gesundheit besteht.

C2.) § 201 StrVollzG
Ganz versteckt im vorletzten Paragrafen, ist für Anstalten mit deren Bau vor 1977
(1977 ist das Jahr in welchem das StrVollzG in Kraft trat, deshalb gilt dies gewissermaßen als Stichtag) begonnen wurde bestimmt worden, dass in diesem Gefängnissen Gefangene solange gemeinsam während der Ruhezeiten untergebracht werden dürfen, wie dies die räumlichen Verhältnisse erfordern.

Auf diese bald 30 Jahre alte Sonderklausel stützt sich auch die JVA Bruchsal.

C3.) Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz
“ Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt.“, so steht es im Grundgesetz.

Das Bundesverfassungsgericht und ebenso die zuständigen Strafvollzugsgerichte leiten hieraus auch die Verpflichtung für Vollzugsanstalten ab, einen menschenwürdigen Vollzug zu gewährleisten.

D.) Kritik an der Alltagspraxis der JVA Bruchsal

Um das Ergebnis vorweg zu nehmen: die Unterbringung von mehreren Gefangenen in einer Einzelzelle in der das WC räumlich nicht abgetrennt ist, ist verfassungswidrig.
Die Menschenwürdegarantie verbietet eine Herabwürdigung zum Objekt und gebietet die Währung menschlicher Identität und Integrität. Die Unterbringung in einer doppelbelegten Einzelzelle mit offener Toilette stellt dem gegenüber eine Brechung menschlicher Subjektivität unter Verletzung der körperlichen und psychischen Identität dar. Ein eventuell vorhandener “ Schamvorhang “ bietet weder hinreichenden Sicht – noch Geruchsschutz, so dass im Falle der Toilettenbenutzung durch einen Gefangenen in unzumutbarer Weise beiden Gefangenen jeder Rückzugsraum genommen, in ihre Intimsphäre eingegriffen und ihre Menschenwürde negiert wird.

Hieran ändert auch die oben erwähnte Übergangsregelung für Altanstalten nichts, denn das Grundgesetz steht über dem Strafvollzugsgesetz.
Daß Beamte, die dennoch Gefangene in einer solche menschenunwürdige Situation bringen, ihre Amtspflicht verletzen, hat der Bundesgerichtshof 2004 entschieden.
Da Vollzugsbeamte als Angehörige der vollziehenden Gewalt (Exekutive) gemäß
Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz an Gesetz und Recht gebunden sind, stellt sich ihr Verhalten als doppelter Verfassungsbruch dar : sie verletzen die verfassungsmäßigen Rechte der Gefangenen und zugleich ihre eigenen Pflichten.

Wie ethisch fragwürdig ist sodann der Anspruch des Personals an die Insassen, diese mögen sich ihrerseits an Recht und Gesetz halten !?

In der JVA Bruchsal bemüht man sich wohl teilweise um Unterschriften der Insassen, die derartig menschenunwürdig untergebracht werden, d.h. man verlangt pro forma seitens der Anstalt ihre Zustimmung. Dabei wird verkannt, dass niemand auf die Achtung seiner Menschenwürde wirksam zu verzichten vermag. Die Menschenwürde steht gerade nicht zur Disposition des Einzelnen.

Die Forderung sollte aber nun nicht heißen : baut mehr und größere Gefängnisse. Vielmehr könnte man schlicht und ergreifend Gefangene frei lassen. Die Strafprozessordnung sieht dies sogar explizit vor !
Aus Gründen der Vollzugsorganisation (hierunter wird u.a. Überbelegung verstanden) dürfen Staatsanwaltschaft, aber auch Anstaltsleiter gemäß § 455a StOP Gefangene (vorübergehend) auf freien Fuß setzen.

Alleine in Bruchsal werden somit täglich Dutzende von Insassen in ihrer Menschenwürde verletzt; bundesweit geht die Zahl in die tausende – und hierbei wurde noch nicht einmal die Frage gestellt, ob Strafvollzug an sich schon menschenunwürdig ist!


Thomas Meyer Falk
c/o JVA – Z. 3117
Schönbornstr. 32
D – 76646 Bruchsal
Homepage : http://www.freedom-for-thomas.de








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last modified 23.11.2017 | webmaster