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Gefängnisse - Orte für Feindstrafrecht?!

Vor fast 30 Jahren, nämlich am 16.3.1976 verabschiedete der Deutsche Bundestag das Strafvollzugsgesetz. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es in der BRD kein die Verhältnisse im Gefängnis regelndes Gesetz, sondern es herrschte die Vorstellung vom "besonderen Gewaltverhältnis", welches die Grundrechte der Gefangenen nahezu vollständig außer Kraft setzte. In Folge mehrerer Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sah sich der Gesetzgeber veranlasst, die Rechte und Pflichten der GefängnisinsassInnen gesetzlich zu regeln.

Seit einigen Jahren wird auch in Deutschland in der Rechtswissenschaft die Einführung eines sogenannten Feindstrafrechts diskutiert. Ich möchte in diesem Beitrag nach einer kurzen Erläuterung des Begriffs vom Feindstrafrecht der Frage nachgehen, ob sich schon Entwicklungen bemerkbar machen, die auf eine stillschweigende, unterschwellige Realisierung von Elementen dieses Feindstrafrechts in den Gefängnissen hindeuten und damit das eingangs erwähnte Strafvollzugsgesetz ad absurdum führen.

In jüngerer Zeit forciert insbesondere der Bonner Strafrechtsprofessor Jakobs die Diskussion um Einführung eines Feindstrafrechts (vgl. Jakobs in HRRS 2004, S. 88 ff., online kostenfrei einzusehen unter Günther Jakobs: Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht). Danach werde aus der (Rechts-)Gemeinschaft ausgeschlossen und zum Feind erklärt, wer die Legitimität der Rechtsordnung prinzipiell leugne und deshalb darauf aus sei, diese Ordnung zu zerstören. Damit meint Jakobs zwar zuvorderst "Terroristen", jedoch zielt er auch auf Menschen ab, die beispielsweise der organisierten Kriminalität zugerechnet werden, sowie auf Gewalt- und Sexualtäter. Folge der Einstufung als Feind ist, dass die Beziehung "Staat - Täter" nicht mehr durch das Recht, sondern durch Zwang gekennzeichnet wird, da der Feind als Person nicht mehr existiert. Ihm wird jegliche Personalität abgesprochen und er ist allein Zwangsadressat (vgl. Lehnert in Forum Recht 2005, S. 96-100).

Nun stellt sich die Frage, ob diese bislang von der Mehrheit der Rechtslehre noch wahlweise ignorierte oder kritisierte Sichtweise nicht doch schon zumindest teilweise Eingang in den Vollzugsalltag gefunden hat. Ein Blick in die Gefangenenlager der USA in Abu Ghraib oder Guantanamo zeigt, dass dort das Feindstrafrecht in seiner vollen Härte praktiziert wird. Gewalt an Häftlingen aus der Widerstandsbewegung ist dort Alltag. Die Folter von Gefangenen gehört so sehr zur Routine, dass eines der Fotos von Mißhandlungen in Abu Ghraib als Bildschirmschoner des Computers in einem Verhörzimmer diente (vgl. Emcke in Le Monde Diplomatique, August 2005, S. 15-16). Solche Zustände herrschen (glücklicherweise) in deutschen Haftanstalten noch nicht.

Aber es muss schon stutzig machen, wenn sich im August 2002 der Hamburger Justizsenator Kusch auf den Weg in die USA nach Phoenix macht, um sich vom "härtesten Sheriff der USA" Anregungen für die Behandlung von Gefangenen zu holen (vgl. Junge Welt vom 30.6.2004). Nach seinem Besuch bei Sheriff Joe Arpaio forcierte Kusch den systematischen Abbau angeblicher Privilegien, damit "Haft (...) kein Luxusurlaub" mehr sei und "Haft (...) wieder als Haft spürbar wird". Und so wurden die Spritzenautomaten für drogenabhängige Gefangene abgeschafft, die Besuchszeiten für Angehörige und Freunde ebenso gekürzt, wie Telefoniermöglichkeiten; nicht-arbeitende Gefangene (z.B. weil es keine Arbeit gibt) werden täglich 22 1/4 Stunden weggeschlossen, Zellen werden trotz menschenunwürdiger Verhältnisse mit mehreren Gefangenen belegt (vgl. Dervishaj in Forum Recht 2005, S. 84-87).

Jede einzelne Beschränkung für sich genommen zeigt schon auf, dass seitens der Justizverwaltung das Gegenüber, nämlich die Gefangenen, nicht als Person betrachtet wird, sondern, um mit Lehnert (Forum Recht 2005, S. 16) zu sprechen, allein als "ZwangsadressatIn". Vergleichbare Beispiele vermag ich aus eigener Erfahrung aus der Justizvollzugsanstalt Bruchsal zu berichten: Obwohl Gerichte die Belegung von 9 qm kleinen Zellen, deren Toilette räumlich nicht abgetrennt ist, mit zwei Gefangenen für menschenunwürdig erklärt haben, ändert sich hier nichts an dieser Praxis. Jeden Tag auf dem Weg in den Gefängnishof sehe ich reihenweise an den Haftraumtüren zwei Namensschilder, d.h. die Einzelzellen sind mit zwei Insassen belegt.

Jakobs (a.a.O.) schreibt: "Ein Individuum, das sich nicht in einen bürgerlichen Zustand zwingen läßt, kann der Segnungen des Begriffs der Person nicht teilhaftig werden". Von der überheblichen Diktion Jakobs einmal abgesehen, spricht vieles im Vollzugsalltag dafür, dass die "Segnungen des Begriffs der Person" den Häftlingen zumindest in weiten Teilen vorenthalten, sprich verweigert werden. Was wiederum darauf hindeutet, dass Gefangene im Bewusstsein des Gefängnispersonals, des vorgesetzten Ministeriums, wie auch der Politiker - vorsichtig formuliert - tendenziell als Feinde angesehen werden. Mit den daraus resultierenden Konsequenzen: Noch härteres Haftregime, noch längere Verwahrdauern. So stellt Lehnert (a.a.O.) beispielsweise die dauerhafte "Sicherungsverwahrung" (die 1933 expressis verbis zur "Unschädlichmachung" von "Volksschädlingen" eingeführt wurde) in die Reihe mit den Instrumenten, die Jakobs zur finalen Bekämpfung von Feinden vorschlägt (so hält Jakobs Folter nicht nur für zulässig, sondern wie sein Professorenkollege Brugger, geradezu für geboten.

Es bleibt zu hoffen, dass sich Gefangene dieser Realität bewusst werden und stellen. Mindestens ebenso wichtig ist jedoch auch Unterstützung von außerhalb der Gefängnismauern. Wobei, dies zum Schluss, Jakobs Gedanken konsequent weitergedacht, die UnterstützerInnen gerade durch ihre Hilfestellungen in den Augen der staatlichen Behörde zu Feinden werden.




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last modified 23.11.2017 | webmaster