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Strafvollzug und Vollzugsplanung

Strafvollzug und Vollzugsplanung - Bericht über einen Einzelfall, der keiner ist

Im Folgenden möchte ich einmal über das Thema "Vollzugsplanung" im Strafvollzug berichten. Was ist das überhaupt: Vollzugsplan? Nach einer Einführung in die juristische Theorie werde ich anhand eines konkreten Einzelfalls die Praxis aufzeigen, um mit einem Resümee zu schließen.

Der Vollzugsplan

"Auf Grund der Behandlungsuntersuchung wird ein Vollzugsplan erstellt", so beginnt trocken und nüchtern § 7 Strafvollzugsgesetz. Die Behandlungsuntersuchung soll gleich nach Aufnahme in die Strafanstalt beginnen. Die Persönlichkeit und Lebensverhältnisse werden "erforscht", um darauf aufbauend einen "Vollzugsplan" zu erstellen.
Nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ein "konzentriertes Zusammenwirken aller an der Resozialisierung Beteiligten" (BVerfG in NStZ 1993, S. 301) erforderlich, um die Voraussetzungen zu schaffen, dass ein Gefangener nach der Entlassung aus der Haft nicht mehr rückfällig wird.

Wesentliches Instrument in diesem Kontext ist besagter Vollzugsplan, soll er doch Angaben über die wichtigsten im konkreten Einzelfall erforderlichen Behandlungsmaßnahmen enthalten, als da wären: Erfolgt die Freiheitsentziehung in einer geschlossenen oder im (gelockerten) offenen Vollzug, ist eine Sozialtherapie erforderlich, Zuweisung zu einer speziellen Behandlungsgruppe, Arbeit/Ausbildung, Teilnahme an Weiterbildungsveranstaltungen, notwendige besondere Hilfsmaßnahmen (z.B. Psychotherapie), Vollzugslockerungen (z.B. Ausführung, Hafturlaub).

Der einmal erstellte Vollzugsplan soll bei Insassen mit langen Strafen mindestens einmal im Jahr überprüft, neu justiert und der Entwicklung des Gefangenen angepasst werden.
Gemäß § 159 StrVollzG hat zur Aufstellung und Überprüfung des Vollzugsplans der Anstaltsleiter jeweils eine Konferenz mit den an der Behandlung maßgeblich Beteiligten durchzuführen. In der Regel sind dann der Jurist der Anstalt, der Sozialarbeiter, Psychologe und Werkmeister anwesend. In Bruchsal können die Gefangenen auf Antrag auch die Anwesenheit ihres Anwaltes und naher Angehöriger (z.B. Ehefrau) ermöglichen.

Der Vollzugsplan ist unerlässlich, wenn die Vollzugsbedingungen für die Zeit nach der Entlassung positiv verändert und damit die Prognose verbessert werden soll. Denn Maßnahmen, sei es beispielsweise eine (benötigte) Therapie, eine Berufsausbildung, werden meist nicht durchgeführt, wenn sie nicht zuvor in diesem Vollzugsplan aufgenommen wurden.
Kurz gesagt handelt es sich gewissermaßen um den "Fahrplan" für die Zeit im Gefängnis.


Der Einzelfall - Herr Heinz S.

Heinz S. ist Jahrgang 1942 und verbüßt zur Zeit wegen Serieneinbrüchen eine langjährige Freiheitsstrafe. Da er einschlägig vorbestraft war, verhängte das Gericht Sicherungsverwahrung (zur Sicherungsverwahrung vgl.
http://www.freedom-for-thomas.de/thomas/texte/knast/dXeZRNqSC2.shtml)
Jetzt im Herbst 2005 hat er zwei Drittel seiner Strafe verbüßt und könnte entlassen werden, so man ihm eine positive Sozialprognose stellen würde. Frau Oberregierungsrätin G., manchem vielleicht aus vorhergehenden Berichten noch in (unguter) Erinnerung, ist die für ihn zuständige Abteilungsjuristin. Am 30.08.2005 fand eine Vollzugsplankonferenz statt und Herr S. fand es nicht unangebracht angesichts des seit über 6 Jahre dauernden Freiheitsentzuges nunmehr als ersten Schritt zumindest Ausführungen zu seiner Freundin, die hier im näheren Umkreis wohnt, einzufordern. Denn kein Gericht entlässt einen Gefangenen vorzeitig auf Bewährung, wenn er nicht zuvor durch "Vollzugslockerungen" erprobt wurde.
Bei Ausführungen sind zwei Wärter in Zivil dabei.

Auf sechs Seiten "Fortschreibung des Vollzugsplans" lehnte Frau G. wortreich das Anliegen von Heinz S. ab. Zum einen müsse er erstmal eine "Tataufarbeitung" im Sinne einer "kritischen Selbstreflektion des eigenen Verhaltens" leisten.
Sein Wunsch nach Gesprächen mit einem anstaltsexternen Therapeuten werde von der Anstalt allenfalls geduldet, aber er müsse diese selbst bezahlen und die Gesprächszeiten würden von seinen monatlich zwei Mal zwei Stunden Besuch abgezogen.

Schon diese Haltung der Anstalt ist, freundlich formuliert, juristisch zweifelhaft, hat doch das zuständige Oberlandesgericht mehrfach die Gefängnisleitung darauf hingewiesen, dass ggf. der Justizfiskus Therapien zu zahlen habe und für therapeutische Gespräche Besuchszeiten zusätzlich zu gewähren seien.

Was nun die Ausführungen anlangt, bemängelt die Juristin, dass es Zweifel daran gebe, ob es sich bei der "Beziehung zwischen Frau X. und dem Gefangenen tatsächlich um eine tragfähige, von persönlichem Respekt getragene und auf innerer Verbundenheit beruhende partnerschaftliche Beziehung handelt".
Denn Herr S. soll im Vorgespräch der Anstaltspsychologin gesagt haben, er habe jetzt "eine Beziehung mit Eigentum".

Nun ja, unterstellt, die Wendung ist tatsächlich so gefallen, wäre sie vielleicht nicht sehr galant, sie hätte von der JVA aber ohne weiteres auch positiv gewertet werden können: Herr S. brachte zum Ausdruck, dass er im Falle einer Entlassung nicht ins ökonomische Nichts stürzen würde.
Es ist nämlich tatsächlich so, dass Gerichte einen Gefangenen lieber in ein gefestigtes soziales Umfeld entlassen, in welchem auch sichergestellt ist, dass nicht wirtschaftliche Not Anreiz für neue Straftaten bietet.

Im übrigen, so Frau Oberregierungsrätin G., nun ins persönliche abgleitend, käme die Gewährung von Ausführungen - wieder Zitat! - "Beihilfe zum Heiratsschwindel" gleich. Denn Heinz S. habe seine Partnerin bislang nicht über die Sicherungsverwahrung informiert. Zwar wusste sie von den Einbrüchen und der Dauer der Strafe, nicht jedoch von der SV. Er habe damit, so die Juristin, Frau X. bewusst über die Vollstreckungssituation im unklaren gelassen.
Gewährte man Ausführungen, würde hierdurch vorgespiegelt, dass Herr S. in absehbarer Zeit aus der Haft entlassen würde.

Außerdem kämen Ausführungen als Behandlungsmaßnahme erst ab dem 9. Haftjahr in Frage, da man über zuwenig Personal verfüge.

Soll man nun sagen, "Pech gehabt, Heinz"? Pech, dass er "nur" zu 10 Jahren verurteilt wurde, also - wenn überhaupt - erst in 2-3 Jahren mit "Behandlungsmaßnahme Ausführungen" rechnen dürfte?!

Herr S. hat sich entschlossen, trotz aller Bedenken, nun doch vor Gericht zu ziehen. Sein Bruchsaler Verteidiger, Rechtsanwalt Z. sieht in der Entscheidung von Frau Oberregierungsrätin G. ein typisches Beispiel für die aktuellen Mißstände und hält die Entscheidung für nicht nachvollziehbar.

Wie sieht also Herrn S. "Fahrplan" aus? Gewissermaßen perspektivlos, denn Frau G. konnte es sich nicht verkneifen, in einem Nebensatz darauf hinzuweisen, dass, sollte er keine "eigenen Bemühungen um eine Tataufarbeitung" leisten, er "kaum eine Chance haben dürfte, jemals wieder aus der Haft entlassen zu werden".
Wohlgemerkt, Heinz S. hat nicht getötet, nicht vergewaltigt oder ähnliches, er hat, wenn auch in größerem Stil, in Arztpraxen und Häusern eingebrochen.

Das Resümee:

"Vollzugspläne" wie die von Herrn S. sind hier keine Ausnahme, mehr oder minder regelmäßig heben Land-/Oberlandesgericht auf Klagen Gefangener mangelhafte Vollzugspläne auf und dies seit Jahren.
Von besonders hohem Respekt vor den Gefangenen spricht das Verhalten der Bediensteten folglich nicht, nicht einmal von ganz normalem Respekt.
Es kursiert schon der Scherz, dass mit "Fortschreibung" des Vollzugsplanes eigentlich ganz was anderes gemeint sei: Ganz weit weg schreiben.

So erweist sich wieder einmal der Satz des emeritierten Professors Wesel aus Berlin als wahr: "Gefängisse sind von Übel".

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA - Z. 3117, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
http://www.freedom-for-thomas.de




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last modified 23.11.2017 | webmaster