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Agenda 2010 – Betrachtung einer Werbekampagne der Bundesregierung

Die Bundesregierung in Berlin startete Ende Dezember 2003 eine (teure) Werbeaktion unter dem Titel „Das war 2003: Reformen für die Zukunft“ Deutschland beweise Mut zur Veränderung und gemeinsam hätten wir die Weichen hin zu einem modernen Sozialstaat gestellt – für mehr Aufschwung und Wachstum in unserem Land, so die Einleitung in einer Anzeige.

Im folgenden möchte ich den sechs Punkten der Werbeanzeige (vgl. „Der Spiegel“ vom 29.12.03, Seite 4-5) der Bundesregierung, mit der sie ihre eigenen Leistungen lobt, die Realität entgegen halten, denn offenbar schweben jene Damen und Herren bei einem Monatsgehalt von jenseits der 10.000 Euro im Schlaraffenland und glauben an den alten Spruch : „Was!? Das Volk hat kein Brot mehr? Dann soll es eben Kuchen essen!“


a.) „Mehr Geld für eigene Wünsche“

Angeblich würden die Menschen sowie Unternehmen um 15 Milliarden Euro entlastet und damit hätten die Steuerzahler „mehr Geld für ihre Anschaffungen und Wünsche“. Nun, wer z.B. 6 Millionen Dollar pro Jahr verdient wie der Deutsche Bank-Chef Ackermann, der wird tatsächlich „mehr Geld für eigene Wünsche“ zur Verfügung haben. All jene Millionen Arbeitslosen, SozialhilfeempfängerInnen, RentnerInnen, Kranke, Wohnsitzlose, HeiminsassInnen, Drogenabhängige die auf medizinische Hilfe angewiesen sind, sie alle werden weniger Geld für Anschaffungen und ihre sonstigen Anschaffungen haben.


b.) „Mehr Chancen für den Arbeitsmarkt“

Angeblich habe die „Bundesregierung den Arbeitsmarkt zukunftssicher gemacht“. Es seien „über eine Million Mini- und Midijobs für geringfügig Beschäftigte“ entstanden, dies sei „ein Erfolg für Beschäftigte, Unternehmen und Haushalte“. Job-Center „beschleunigen und verbessern die Vermittlung Arbeitssuchender“. Erwerbslose können diese Aussagen wohl nur als zynisch ansehen, denn zum einen dienen viele der „Mini-Jobs“ dazu, die Unternehmer von „Lohnnebenkosten“ zu entlasten und sie sind in Bereichen angesiedelt, die den Beschäftigten keinerlei Entwicklungsperspektive bieten, sie vielmehr in einem permanenten Zustand von Abhängigkeit und dem nackten Überlebenskampf verharren läßt.. Sklaventum des 21.Jahrhunderts nach europäischen Vorstellungen. Jene die –noch- in Arbeit sind, sollen künftig leichter entlassen werden können, müssen – im Falle der Entlassung - jeden Job annehmen. Man fragt sich, wann den ersten Frauen und Männern vom Arbeitsamt die Weisung erteilt wird, als Prostituierte zu arbeiten, schließlich ist Prostitution seit 2001 eine anerkannte Beschäftigung (vgl. Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostitution vom 20.12.2001).


c.) „Mehr Zukunft für das Gesundheitssystem“

Die Gesundheitsreform (Nebenfrage: Kann Gesundheit reformiert werden?? Wenn ja: wie?) verbessere die „Qualität der medizinischen Versorgung für alle gesetzlich Versicherten“, außerdem werde ihr „Gesundheits- und Kostenbewußtsein gefördert“. Die (chronisch) Kranken reiben sich verwundert die Augen und fragen sich nach einem Blick ins Portemonnaie ob sie der gähnenden Leere, nachdem sie 10 Euro an den Hausarzt zahlten und weitere erkleckliche Beträge an Apotheken und andere. Von SozialhilfeempfängerInnen ganz zu schweigen: sollen sie von ihrem Regelsatz- der gerade so das Überleben sichert- all die Zuzahlungen leisten? Es ist schlicht menschenverachtend was hier seitens der Regierung –und des Bundestages- praktiziert wird. Die Krankenversicherung ist ein Solidarsystem und solange die Krankenversicherung üppigste Gehälter beziehen, teure Büros für ihre Vorstände bereits stellen, millionenschwere Werbeanzeigen schalten, ist keinerlei Anlaß gegeben den Kranken Geld aus den Rippen zu schneiden.


d.) „Mehr Dynamik für die Wirtschaft“

Die Agenda 2010, so lesen wir unter Stichpunkt Nr.4 des Inserates fördere das Wachstum, das Rabattengesetz „stärkt die Kunden. Und längere Ladenöffnungszeiten machen nicht nur das Einkaufen bequemer, sie kurbeln auch den privaten Konsum an“. Muß heute wirklich alles „bequemer“ werden? Es ist nicht bekannt, daß vor 20 Jahren Menschen in Deutschland deshalb verhungert wären, oder nichts zum anziehen kaufen konnten, weil sie keine Gelegenheit gefunden hätten einzukaufen. Und mittlerweile ist längst belegt, daß längere Öffnungszeiten mitnichten den Konsum ankurbeln, sondern sie verlagern lediglich den Zeitpunkt des Einkaufs, erhöhen aber nicht die Einnahmen. Dafür tragen die neuen Arbeitszeiten noch mehr zur Zersplitterung von Familien und Beziehungen bei, da die Verkäuferinnen und Verkäufer noch länger in den Tempeln der Konsumwelt bleiben müssen.


e.) „Mehr Gerechtigkeit für Jung und Alt“

Die Renten würden „nachhaltig“ gesichert und deshalb auch für kommende Generationen bezahlbar. Nun besteht die Politik der Regierung aber primär darin die Renten faktisch zu kürzen und das Renteneintrittsalter zu erhöhen (evtl. ist dies das Gerechtigkeitsverständnis der Regierung: mehr arbeiten für letztlich weniger Geld?!). Der Mut für eine progressive Einwanderungspolitik, welche sodann dazu führen würde, daß auch mehr Beitragszahler zur Verfügung stehen, ist nicht ansatzweise erkennbar. Den Menschen, die heute schon erwerbslos sind, gerne aber arbeiten würden wirklich zu helfen, ihnen Perspektiven aufzuzeigen, auch dies kommt keinem in den Sinn, die Hauptsache ist, daß der Chef der Bundesanstalt für Arbeit ein teuer renoviertes Büro hat und teure Beraterverträge abschließen darf. So aber kommt kein Geld in die Rentenkasse!


f.) „Mehr Kinder“

Dieser Spruch erinnert ja fast an das „Kinder-Statt-Inder-Programm“ von Jürgen Rütters. Deutschland solle „wieder ein Kinder- und familienfreundlicheres Land werden“. Gut gebrüllt Löwe. „Frühkindliche Förderung“ werde gestärkt durch den Ausbau von Betreuungseinrichtungen.
Menschen, Paare die im Alltag um ihre pure Existenz kämpfen und bangen, werden sicherlich nicht animiert Kinder in diese Welt zu setzen. Ich erspare den LeserInnen und mir eine Aufzählung der Kinder- und familienfeindlichen Regelungen angefangen beim Staat, über die Deutsche Bahn, bis hin zu Nachbarn die sich über Kindergeschrei empören, oder Restaurants die am liebsten ein Schild an die Türe hängen würden: „Kinder-sind-hier-unerwünscht“.

Das Inserat schließt mit dem Satz „Die Agenda 2010 bewegt Deutschland“; dieser neoliberale Masterplan sollte Deutschland vielmehr erschüttern, aufrütteln & die Menschen auf die Straße treiben! Dieser (werbe-)psychologische, man muß es so direkt sagen, Unsinn der in dieser Anzeige verbreitet wird, täuscht die Menschen ganz gezielt, soll sie einlullen & einschläfern, um so wichtiger ist Gegenwehr, Protest und aktiver Widerstand.




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last modified 21.11.2017 | webmaster